Diese Checkliste stellt eine Zusammenfassung der Hauptmerkmale der PDA und der häufig in der Anamnese zu findenden typischen Themen bei PDA dar. Sie stützt sich auf den diagnostischen Leitfaden der PDA-Society[1], den Extreme Demand Avoidance Questionnaire[2] (EDA-Q), einen persönlichen Austausch mit Ph. D. Casey Ehrlich[3] sowie die klinische Erfahrung von Dr. med. N. Chou-Knecht, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Verfasserin der Checkliste. Die Checkliste stellt kein evaluiertes Diagnoseinstrument dar, sondern soll ein klinisches Interview bei Verdacht auf ein PDA-Profil unterstützen. Für die Diagnose eines PDA-Profils müssen gemäss PDA-Society ebenfalls die diagnostischen Kriterien für eine Autismus-Spektrum-Störung gemäß ICD-11/DSM-5 erfüllt sein. Das Urheberrecht dieser Checkliste liegt bei Dr. med. N. Chou-Knecht, Schweiz. Die Checkliste wurde von Anja Broekhuis-Wölfle für das PDA-Profil bei Erwachsenen angepasst und durch Dr. med. N. Chou-Knecht genehmigt.
Die hier vorliegende zweite Version 2 der Checkliste wurde leicht neu gruppiert, weniger defizitorientiert formuliert sowie durch häufig bei PDA zu findende Ressourcen ergänzt. Diese Checkliste wurde für DiagnostikerInnen verfasst und beschreibt somit die Sicht der Beobachtenden von außen auf die betreffende Person. Sie gibt nicht das tatsächliche Erleben der Person selbst wieder. Die bisherige wissenschaftliche Forschung zu PDA ist noch nicht ausreichend, weist aber auf einen engen Zusammenhang zwischen PDA und ASS hin, welche auch durch die langjährige klinische Erfahrung der PDA-Society und die Erfahrung des Fachvereins PDA-Autismus-Profil (FAPDA) gestützt wird. Die klinische und soziale Evidenz zu PDA deuten stark auf eine neurobiologische Genese der beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten hin. Die von außen sichtbare Verweigerung/Vermeidung wird von Betroffenen selbst als ein nicht zu beeinflussender Automatismus beschrieben, der die Person am Ausführen oder Fortsetzen einer Handlung hindert oder blockiert.
Bitte umkreisen Sie die Punkte, welche für die untersuchte Person zutreffen:
1. Widersetzt sich und umgeht zwanghaft gewöhnliche Anforderungen des Lebens und Bitten
- Empfindet alltägliche/gewöhnliche Anforderungen (z. B. Anziehen, Essen, sich waschen, Betriebsausflug, Arzttermine, Behördengänge) als unerträglich stressig.
- Tut sich schwer damit, Anforderungen nachzukommen, wenn diese nicht pda-entsprechend vorsichtig präsentiert werden.
- Die Anforderungen werden in der Regel nicht (nur) vermieden, weil die Tätigkeit als solche unangenehm ist, sondern einfach deshalb, weil es sich um Anforderungen handelt, was zu einem hohen Stress-Empfinden bis hin zur Angst/Panik führt.
- Auch eigentlich gewollte Tätigkeiten/Verhaltensweisen (z. B. jemandem antworten) oder Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Körperhygiene werden teilweise vermieden.
- Vermeidet Tätigkeiten auch, wenn sich die Vermeidung zu seinem/ihrem Nachteil auswirkt und dies von der Vernunft her eigentlich erkannt wird (z. B. wichtige Arzttermine).
- Als Grund für die Vermeidung kann Angst bzw. ein damit verbundenes Kontrollbedürfnis erkannt werden.
- Hört nicht gerne, dass er/sie etwas gut gemacht hat (Lob), weil damit die Erwartung verbunden ist, es bei einem nächsten Mal wieder genauso gut tun zu sollen.
- War als Baby passiv und/oder sehr herausfordernd, wenn man versucht hat, sich mit ihr/ihm zu beschäftigen.
- In den ersten Lebensjahren hat eine (auf fehlender sozialer Motivation beruhende) Sprachentwicklungsverzögerung bestanden, welche danach schnell aufgeholt wurde.
2. Verwendet soziale Strategien als Mittel der Vermeidung
- Verwendet eine Vielzahl von Strategien, z. B. durch Ablenkung, Hinauszögern, Ablehnung, Drohung, Rollenspiele, Übernahme der Kontrolle (z. B. gibt die Aufgabe an andere weiter; verteilt Anweisungen) oder komplizierte Ausreden (klagt krank zu sein; fühlt sich körperlich nicht in der Lage; die Aufgabe sei zu schwer, werde nicht verstanden) sowie fadenscheinige Lügen.
- Wenn die gewählten sozialen Strategien nicht zum Ziel führen, sich die Person in die Enge getrieben fühlt oder Druck auf die Person ausgeübt wird, kann es zu einer raschen Eskalation kommen – dies bis hin zu Panikreaktionen, Weglaufen, sich Einschließen, Aggression, Meltdown (Schreien, Wutanfall, Schlagen, Treten), Shutdown, Selbstverletzung.
- Zeigt zum Teil Aufsehen erregendes Verhalten, wenn dies der Vermeidung einer Anforderung dienen kann.
- Versucht für sich selbst bessere Konditionen auszuhandeln (z. B. am Arbeitsplatz).
- Gibt anderen Anweisungen oder bringt andere dazu, seine/ihre Aufgaben zu erledigen (z. B. schickt eine Kollegin vor, um etwas nicht selbst tun zu müssen).
- Verdreht die Wahrheit (ist unehrlich, flunkert andere an, lügt), entwendet Gegenstände oder leiht diese ungefragt aus, „dirigiert“ Menschen geschickt, um das eigene Ziel zu erreichen.
3. Verfügt oberflächlich über gute soziale Fähigkeiten, aber es fehlt ihr/ihm an Tiefe im sozialen Verständnis
- Es ist eine gute Redegewandtheit mit ausdruckstarkem Wortschatz vorhanden, die Verarbeitung der verbalen Kommunikation ist jedoch weniger gut ausgebildet.
- Verwendet ausdrucksstarke Fragen, wartet Antworten jedoch nicht bis zum Schluss ab oder verarbeitet diese nicht.
- Oberflächlich kontaktfreudig, aber Mangel an Verständnis für soziale Identität.
- Kann situationsabhängig gesprächig, charmant und extrovertiert sein oder eher introvertiert und darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken (nicht auffallen wollen).
- Unangemessene Kontaktfreudigkeit (schnelle, unerklärliche Veränderungen in der Kontaktgestaltung).
- Hat Schwierigkeiten, soziale Hierarchien zu erkennen oder zu akzeptieren. Scheint keinen Unterschied zu sehen zwischen sich selbst und Autoritätspersonen (z. B. Vorgesetzten, PolizistInnen).
- Das Auftreten wirkt zum Teil herrisch und dominierend oder schüchtern und teilnahmslos.
- Kann bestimmend und dominierend sein, dadurch dass sie/er anderen sagt, wie sie sich zu verhalten haben bzw. gestaltet Interaktionen nach seinen/ihren eigenen Vorstellungen.
- Der Umgang kann sich starr und unflexibel gestalten, besonders, weil der Eindruck entsteht, dass die Bedürfnisse der Person die Situation kontrollieren (z. B. wird nur das gemacht, was die Person möchte/braucht).
- Weist andere auf Regeln hin, hält diese aber selbst nicht ein.
- Möchte/muss unbedingt die Kontrolle über die Situation behalten (und versucht daher, die Situation zu bestimmen). Versucht bei einem Verlust von Autonomie das Gefühl der „Gleichberechtigung“ mit unterschiedlichen Strategien wieder herzustellen.
- Kann soziale Interaktionen imitieren und kopieren, um sich anzupassen/nicht aufzufallen (Masking).
- Aufsehenerregendes Verhalten in der Öffentlichkeit, z. B. spricht mit sehr lauter Stimme. Zeigt kaum Anzeichen von Scham oder Verlegenheit (z. B. ist ihr/ihm nicht peinlich, in der Öffentlichkeit zu schreien oder einen Wutanfall zu bekommen).
- Bemüht sich nicht, in einer Gruppe oder in sozialen Gefügen (z. B. Nachbarschaft) einen guten Ruf zu wahren.
- Häufige soziale Konflikte oder Missverständnisse (z. B. in der Partnerschaft, auch mit Vorgesetzten, Behörden, KollegInnen).
- Schiebt Schuld auf andere Personen oder auf andere Umstände, um sich zu schützen.
4. Erlebt exzessive Stimmungsumschwünge und Impulsivität
- Durch scheinbar kleine Auslöser (z. B. etwas, das jemand sagt oder im Radio gehört wird) oder alltägliche Ereignisse (z. B. wenn sich Änderungen ergeben) werden Stimmungsumschwünge ausgelöst, insbesondere wenn die aktuelle Toleranz niedrig ist oder sich schon Stress angesammelt hat. Die Stimmung schlägt schnell und auch gravierend um (z. B. von gerade noch fröhlich und voller Vorfreude zu deprimiert-unmotiviert innerhalb eines kurzen Augenblicks).
- Stimmungsumschwünge erscheinen zum Teil wie durch einen Gedanken oder ein inneres Gefühl ausgelöst; von außen kaum nachvollziehbar.
- Mitmenschen haben oft das Gefühl, „auf Eierschalen laufen“ zu müssen, um keinen Stimmungswechsel auszulösen.
- Reagiert bei Stimmungsschwankungen entweder stark externalisierend oder internalisierend.
- Während der Stimmungsumschwünge kann die Kontrolle verloren gehen, so dass das Verhalten scheinbar von einer Angst- oder Fight-Flight-Freeze-Reaktion geleitet wird.
- Ist auf die volle und uneingeschränkte Aufmerksamkeit auf sich selbst angewiesen (z. B. will keine Hilfe und lässt sich von niemandem helfen oder unterstützen – braucht die alleinige Kontrolle der aktuellen Situation) oder braucht die uneingeschränkte Aufmerksamkeit einer festen Bezugsperson im Sinne eines Angebotes einer Co-Regulation.
5. „Zwanghaftes Verhalten“, das sich auch auf andere Menschen konzentriert
- Hat ziemlich fixe eigene Vorstellungen, was er/sie wie und wann tun möchte.
- Kann andere gut dazu bringen, Dinge so zu tun, wie sie/er es möchte.
- Kann von einer anderen Person (auch Freunde/Geschwister) fasziniert sein und versucht diese zu kopieren, aber auch zu kontrollieren (z. B. diese Person soll genau so bleiben, sich so verhalten, wie sie/er es sich vorstellt).
- Beschuldigt andere oder hat es auf eine bestimmte Person abgesehen.
- Weiß ganz genau, was er/sie tun oder sagen muss, um bestimmte Leute aufzubringen.
- Das zwanghafte Verhalten führt zu einer extremen Anhänglichkeit/Abhängigkeit und ein Kontrollverhalten oft in Bezug auf den/die PartnerIn, die eigenen Eltern (hier meist die Mutter), andere nahestehende Bezugsperson.
- Die bei ASS angewandten strengen Routinen und visuellen Zeitpläne sind nicht wirksam und führen die betroffene Person noch mehr in die Vermeidung bzw. führen sogar zu Eskalationen.
- Hat eher ASS-untypische Spezialinteressen, welche auch nicht so lange dauern bzw. immer wieder wechseln. Kennt sich jedoch in Themen, welche ihn/sie interessieren, weit genauer und mehr aus als gewöhnlich.
6. Scheint sich im Rollenspiel oder beim „So-tun-als-ob“ wohlzufühlen
- Nimmt gern andere Rollen oder Charaktere (aus dem realen Leben oder fiktiv) an und „lebt sie aus“ (z. B. Conventions oder Themen-Partys).
- Erfindet Fantasiewelten oder Spiele, die sie/er auslebt (z. B. im privaten Bereich).
- Zieht es vor, mit anderen in einer angenommenen Rolle bzw. über die Imitation von anderen Personen zu kommunizieren oder verwendet Hilfsmittel, um zu kommunizieren (z. B. Gegenstände hochhalten, Fingerdeutung).
7. Weitere charakteristische Merkmale oder Themen in der Anamnese
- Maskiert bewusst oder unbewusst in verschiedenen Settings, dies eventuell nur für gewisse Zeit, d.h. sie/ er kann sich also in verschiedenen Umgebungen, oberflächlich gesehen, ganz unterschiedlich präsentieren.
- Das Masking hat zu Missverständnissen oder Schuldzuweisungen zwischen anderen Personen (z. B. unter KollegInnen) oder Bezugspersonen (z. B. zwischen den Kindern und dem/der PartnerIn) geführt oder es wurde von den anderen Personen der Verdacht geäußert, dass die Vermeidung ganz bewusst gewählt wird.
- Das Masking hat dazu geführt, dass bei der Bezugsperson der Verdacht auf ein Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom (jemandem eine Krankheit andichten wollen) gestellt wurde.
- In der Kindheit haben sich traditionelle Erziehungsansätze (Lob/Grenzsetzung/Belohnung/Konsequenzen) oder andere bei Autismus angewandte Strategien (Konsistenz/Struktur/visuelle Zeitpläne) als unwirksam gezeigt oder sogar zu Eskalationen mit den Eltern/Bezugspersonen geführt.
- Wenn PDA-Strategien angewandt werden, führt dies zu einer Entspannung und Anforderungen können besser bewältigt werden.
- Es besteht eine Liste verschiedener früherer Diagnosen („Diagnosen-Katalog“) oder es bestehen keine Diagnosen, dennoch wirkt das Verhalten unverständlich oder verwirrend.
- Es besteht eine Autismus-Spektrum-Diagnose, welche aber nicht „ganz passt“ oder die Person hat die Kriterien einer Autismus-Diagnose nicht voll erfüllt (knapp unter dem Cut-Off).
- Es besteht eine AD(H)S-Diagnose, welche die ASS-Züge überschattet.
- Es wurden/werden viele Termine (unentschuldigt) nicht wahrgenommen.
- Es besteht eine Vorgeschichte (in Kindheit und Jugend) mit regelmäßigem Schulausschluss oder wiederholter Schulverweigerung sowie (un)entschuldigtem Fehlen am Arbeitsplatz und mehrfachen Krankmeldungen.
- Die Kommunikation mit Einrichtungen, Behörden, ÄrztInnen, Arbeitgebern o. ä. ist konfliktbehaftet oder gar nicht mehr möglich.
- Den Eltern wurde ein Versagen in der Erziehung vorgeworfen oder ein unkonventioneller Erziehungsstil nachgesagt.
- Es besteht eine Geschichte mit langen stationären Aufenthalten oder ambulanten Therapien, die „nichts brachten“ oder das eigene Erleben noch schlimmer machten.
- Es besteht ein kompliziertes, verwirrendes Erscheinungsbild und die Person befindet sich eventuell sogar im Strafvollzug.
8. PDA-Ressourcen
- ideenreich, kreativ und erfinderisch
- humorvoll
- direkt, offen, ehrlich
- Spürt die Stimmung in einem Raum, das Mindset und die Authentizität einer Person sofort.
- oft hohe affektive Empathie-Fähigkeit, Fürsorge, Tierliebe
- begeisterungsfähig, offen für Neues
- kann seine/ihre eigenen Ziele mit hoher Durchsetzungskraft verfolgen
- willensstark, zielstrebig, beharrlich
- oft überdurchschnittliche hohe Intelligenz und Cleverness
- authentische, ausdrucksstarke und spannende Persönlichkeit
- hinterfragt die Sinnhaftigkeit von Systemen, Regeln, Werten, ist dabei gesellschaftskritisch und unkonventionell
- bereit zu verzeihen und Mitmenschen neue Chancen einzuräumen
- große Dankbarkeit für Menschen, die seine/ihre Bedürfnisse wahrnehmen, verteidigen und entsprechend handeln
- wortgewandt, gutes Sprachgefühl, großer Wortschatz
- bemisst Personen nicht nach Rang und Ansehen, sondern nach ihrer Ausstrahlung und ihrem Handeln.
Quellen
[1] Multidisciplinary group of professionals working in the NHS and private practice, PDA Society (2022) Identifying & Assessing a PDA profile – Practice Guidance
[2] O’Nions et al (2014) Development of the ‚Extreme Demand Avoidance Questionnaire‘ (EDA-Q): Preliminary observations on a trait measure for Pathological Demand Avoidance. The Journal of Child Psychology and P ychiatry.
[3] Casey Ehrlich, Ph.D. (political scientist specializing in research methodology) Founder, At Peace Parents, LLC and co-founder of „PDA Parents“ podcast. Michigan, USA.