Ein Tag aus Sicht eines PDA Kindes

Die Diagnose „Pathological Demand Avoidance“ ist nicht nur wichtig, um adäquate Unterstützungen für die Schule zu bekommen. Sie ist wichtig, um die Kinder möglichst angstfrei auf ihrem Weg durchs Leben begleiten zu können. Sie hilft allen Beteiligten, das Verhalten des Kindes besser verstehen und begleiten zu können, ohne es zu bewerten. Das Wissen über PDA schafft die Basis für eine gute Eltern- Kind- Beziehung und ermöglicht dem Kind, Vertrauen aufzubauen, sich selbst zu akzeptieren und sich zu öffnen.

Die Kinder selbst bemerken vermutlich schon recht früh, dass ihre Wahrnehmung anders ist, als die der anderen Familienmitglieder.  Dass sie nicht so können wie andere Kinder. Es fällt ihnen jedoch schwer, dieses „anders“ in Worte zu fassen, so dass die meisten Eltern einfach keine logischen Erklärungen finden können. Da niemand eine Angst hinter dem unerzogen wirkenden Verhalten vermuten würde, urteilt man negativ oder nimmt es als Elternteil persönlich. Man beginnt, an seinen eigenen Fähigkeiten als Eltern zu zweifeln.

Die PANDA Strategien führten bei uns zunächst dazu, dass das Verhalten extremer wurde, das sie dafür nicht mehr verurteilt oder bestraft wurde, doch mit der Zeit merkt man, dass eine vertrauensvolle Basis entsteht. Der Alltag ist nach wie vor nicht einfach, doch der Selbstwert der Kinder leidet nicht mehr und Eltern und Kinder können sich ganz langsam annähern.

Im folgenden Text versuche ich, einen Tag aus dem Leben meiner Tochter zu beschreiben, bevor wir wussten, was PDA eigentlich bedeutet. Natürlich wird man es nie 100 %ig nachempfinden können, doch je länger man ein PDA Kind großzieht und versteht, desto besser kann man sich einfühlen.

Ein ganz „normaler“ Tag im Leben eines PDA Kindes

Ich höre Mama schon im Flur und sie öffnet die Tür. Ich höre ihr „Guten Morgen“, doch ich kann nicht antworten. Ich möchte weiterschlafen! Sie wiederholt es und sie erwartet eine Antwort. Ich schweige. Ich möchte gern antworten, aber es geht nicht! Einige Minuten später kommt sie nochmals ins Zimmer und möchte, dass ich aus dem Bett aufstehe. Ich habe schon Hunger, aber es stresst mich, dass ich muss. Mama wird lauter, ihre Stimme klingt angespannt und sie wirkt langsam genervt. Ich spüre das auch und in mir wird der Widerstand noch größer, aufzustehen. Ich weiß, dass wir sonst zu spät kommen, aber je gestresster Mama ist, desto weniger kann ich tun, was ich soll.

Irgendwann klingt ihre Stimme wütend und ich stehe auf! „Komm frühstücken!“ höre ich sie sagen. Hätte sie lieber nichts gesagt, denn nun kann ich nicht mehr essen. Ihre hektischen Blicke auf die Uhr machen mich wahnsinnig und ich bekomme keinen Bissen herunter. Es geht einfach nicht und ich laufe in mein Zimmer. Ich muss ablenken und beginne, ein Bild zu malen. Die Stimmung wird bei uns allen angespannter und ich spüre meine Angst aufsteigen.

Mama holt meine Kleidung her, ich laufe schnell weg, um dem zu entgehen. Gebe vor, dass ich auf die Toilette muss. Plötzlich kommt sie hinter mit her und wartet mit der Kleidung im Badezimmer, bis ich fertig bin auf der Toilette. Sie schafft es, einen Socken anzuziehen, dann renne ich lachend weg. Mama denkt, dass ich das tue, um sie zu veralbern, doch es ist die Angst, die mich dazu bringt, dem Anziehen zu entgehen. Sie läuft hinterher, wartet eine Ewigkeit darauf, einen Fuß in die Hose zu bekommen und wiederholt ständig, dass ich mich beeilen und mithelfen soll! Ich bin inzwischen 8 Jahre alt und kann mich natürlich selbst anziehen. Ich kann es nur nicht tun, wenn jemand anders mir den Auftrag gibt. Ich schubse sie weg und versuche, Mama zu kneifen und zu kratzen, denn meine Angst ist inzwischen auf einem unerträglichen Level angekommen. Ich kann meinen Körper nicht mehr kontrollieren.

Da meine Mama mich einfach nicht versteht, beginnt sie mit Erklärungen, dass man das nicht darf und dass das weh tut. All das weiß ich und ich will das nicht, doch mein Fight System ist aktiviert und lässt sich nicht bremsen. Ich bin dem Ganzen hilflos ausgeliefert.

Unten an der Treppe angekommen, zieht Mama mir meine Schuhe an. Vorher ändere ich noch zweimal meine Meinung, welche Schuhe es sein sollen. Wieder fühlt sie sich genervt von mir. Ich kann es spüren. Ich spüre jedes Gefühl, das die Menschen um mich herum haben, ob ich will oder nicht! Dann kommt sie mit der Jacke und ich überlege mir schnell, dass ich nochmals zur Toilette muss, um dem zu entgehen. Mein Körper fühlt sich an wie fremdgesteuert. Ich möchte doch nur verhindern, dass diese Angst sich in mir breit macht.

Meine Tasche lasse ich im Flur stehen. Mama denkt ich sei frech und faul, doch die Wahrheit ist, dass ich einfach nicht kann und das lässt mich immer trauriger werden.

In der Schule angekommen, beschleunigt sich mein Puls. Ich weiß wie man sich hier benehmen soll und setze mein schönstes Lächeln auf. In den nächsten 4 Stunden muss ich leise sein. Ich mag nicht leise sein und auch nicht still sitzen. Die miefige Heizungsluft, das grelle Licht und all die Geräusche und Gefühle der anderen Kinder um mich herum  versetzen mein gesamtes System in Alarmbereitschaft. Außerdem habe ich Angst! Angst, dass jemand sehen könnte was ich fühle, Angst, etwas falsch zu machen, Angst, dass ich die Kontrolle auch in der Schule verlieren könnte.

Und um mich herum sehe ich die anderen Kinder, die scheinbar mit links diesen Schultag hinbekommen. In mir entsteht das Gefühl, einfach nicht gut genug zu sein.

Nach der 4. Stunde ist es geschafft. Zu Hause angekommen schreie ich wild herum, knalle Türen und sage Dinge, die ich nicht sagen möchte. Ich habe in der Schule sehr lange unterdrückt, meine wahren Reaktionen zu zeigen und diese Unterdrückung macht sich zu Hause Luft.  Und wieder ernte ich strafende Blicke. Ich schaffe es nicht mehr, mich an den Mittagstisch zu setzen und gehe direkt in mein Zimmer, lasse die Jalousien herunter und lasse mich in mein Bett fallen.

Nach einiger Zeit versucht Mama mich aus dem Bett zu holen, doch mein Körper fühlt sich an wie gelähmt. Ich kann mich nicht bewegen, nicht antworten und habe keine Ressourcen mehr, überhaupt etwas zu tun und fühle mich von niemandem gesehen.

Ich musste 8 Jahre alt werden, bis meine Familie anfing, sanfter mit mir zu werden. Geduldiger, liebevoller und ohne Vorwürfe.

Ich werde mich vermutlich noch sehr lange an die erlösende Frage erinnern, als meine Familie endlich Bescheid wusste über PDA „Hast du etwa Angst davor?“ Ich fiel Mama in die Arme und weinte bitterlich, denn ich hätte es vermutlich niemals allein über die Lippen gebracht.

Endlich fühlte ich mich gesehen, kein Versteckspiel mehr. Es fällt mir noch sehr schwer, zuzugeben, dass ich einfach nicht kann. Oft gebe ich vor, dass ich nicht will. Ich schäme mich dafür und kann es noch nicht immer akzeptieren, aber ich spüre, dass ich eine Familie im Rücken habe, die mir hilft, damit zurecht zu kommen.

Ich schaffe es endlich, mich zu entschuldigen und lasse Mama sehen, dass ich ihr nicht absichtlich weh tue. Ich bin dankbar dafür, dass meine Familie endlich sieht, dass Situationen, in denen ich mich furchtbar verhalte, meine allergrößten Hilferufe nach Liebe sind!

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